Tafelspitz
Der Tafelspitz ist eine der berühmtesten Spezialitäten der Wiener Küche.
Registernummer: 161
Offenlegungsdatum
Bereits im ausgehenden Mittelalter hatte Rindfleisch für die Ernährung der Wiener Bevölkerung große Bedeutung. So wurden zwischen 1549 und 1551 200.000 Ungarische Steppenrinder nach Wien gebracht, 43.620 waren es im Jahre 1650. Der traditionelle Tafelspitz hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert
Titel
Tafelspitz
Kurzdarstellung oder Behauptung
Der Tafelspitz ist eine der berühmtesten Spezialitäten der Wiener Küche. Es handelt sich um ein feinfaseriges, gut abgehangenes Stück Rindfleisch vom Schlögel eines jungen Ochsen, das zu einer zarten Köstlichkeit gekocht wird. Der Tafelspitz erhält seinen Namen vom charakteristischen Schnitt der Fleischteilung. Er ist leicht an seiner Form erkennbar, die an der oberen Rundung einen schmalen, schmackhaften Fettrand zeigt. Der Tafelspitz wird in Scheiben geschnitten und dann gewöhnlich mit Schnittlauchsauce, Semmel- oder Apfelkren, Gemüse und Röstkartoffeln serviert.
Produktbezeichnung, Produktklasse
Fleisch, Rindfleisch
Name der Region
Wien, Österreich
Suchgebiet
Lebensmittel und Speisen
Beschreibung
Geschichte:
Rindfleisch in Wien: Schon seit dem 15. Jahrhundert war der Rindfleischverbrauch in Wien außerordentlich groß: Während des Mittelalters bildete das Rindfleisch neben dem Brot eines der wichtigsten und damals billigsten Nahrungsmittel der städtischen Bevölkerung. Im städtischen Haushalt wurde schon immer das Rindfleisch bevorzugt. Auf dem Lande hingegen lebte man vorwiegend von Mehl- und Fettprodukten.
Hauptlieferant für die Fleischversorgung der Kaiserstadt Wien war das Rind; es war vor der Verbreitung der Erdäpfel leichter zu füttern als das Schwein, es konnte auch aus weiter entfernten Ländern einfacher und billiger herangetrieben werden. Unter dem Namen „ungarische, galizische und deutsche Mast-, Weide- und Bauernochsen“ wurde eine bunte Musterkarte der in der ganzen Monarchie vorkommenden Rinderrassen auf dem Wiener Markt des 19. Jahrhunderts aufgetrieben. Die Fleischversorgung Wiens wurde im 19. Jahrhundert auf dem Viehmarkt St. Marx zentralisiert, der nach der Marktordnung von 1883 ausschließlich für den Verkauf des zur Schlachtung bestimmten lebenden Viehs sowohl für Wien als auch für viele umliegende Gemeinden zuständig war.
Das Zerlegen des Rindes nach Wiener-Art gilt als wahre Kunst. Nirgendwo anders als in der alten Kaiserstadt Wiens wusste jeder, der als echter Kenner gelten wollte, die Unterschiede der Rindfleischspezialitäten wie Tafelspitz, Tafeldeckel, Rieddeckel, Beinfleisch, Gestutzte Rippe, Kavalierspitz, Hüferschwanzel, Schulterschwanzel, Schulterscherzel, Mageres Meisl, Brustfleisch usw. zu bewerten. So schrieb der altösterreichische Feuilletonist Joseph Wechsberg: „Wer nicht über mindestens ein Dutzend Stücke von gekochtem Rindfleisch sachkundig sprechen konnte, gehörte in Wien nicht dazu, gleichgültig, wie viel Geld er verdiente oder ob der Kaiser ihm den Titel eines Hofrats oder Kommerzialrats verliehen hatte."
Zur damaligen Zeit wurden nur ganze Rinderhälften verkauft und die Köche mussten diese selber zerlegen und so entstand zwangsläufig die Vielfalt an Teilen.
Gekochtes Rindfleisch:
Während viele Speisen der klassischen Wiener Küche aus den Kronländern bzw. Ungarn stammen, ist das gekochte Rindfleisch eine originäre Wiener Spezialität.
Die Position des Rindfleisches in der Küche des alten Wiens ist umstritten. Zu dieser Zeit entwickelte sich ein regelrechter „Hausfrauenstreit“ um das Wiener Rindfleisch. Anna Dorn stand in ihrem 1827 erschienenen „Großen Wiener Kochbuch“ dem Sieden und Dämpfen des Rindfleisches kritisch, teils sogar ablehnend gegenüber: „Altes, dürres Fleisch muss man kochen, junges, feuchtes und fettes aber braten. Stark gekochtes Fleisch ist minder auflöslich und verdaulich, als leicht gebratenes, denn das Fleisch wird, weil seine Säfte in das Wasser, womit es gekocht wird, oder in die Brühe übergehen, härter und trockener.“ Die Kochbuchautorin Anna Hofbauer (1825) aber schlug vor, pro Monat 21-mal gekochtes Rindfleisch mit Beilage als Hauptgang zu servieren und gebratenes Fleisch nur sonntags.
In der kaiserlichen Hofküche zählte schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gekochtes Rindfleisch zum Standard, wie die Speisenliste der kaiserlichen Hofoffiziere aus dem Jahr 1836 zeigt. Damals wurde täglich gesottenes Rindfleisch mit wechselnden Beilagen serviert.
Endgültige Bekanntheit erreichte das Siedefleisch aber schließlich durch Kaiser Franz Joseph. Der Kaiser galt als ein sparsamer und genügsamer Mensch. Für die private Hoftafel genügte ihm einfache Kost, wie gekochtes Rindfleisch mit Beilagen. Die Beilagen waren meist Kohl oder Kohlrabi, ein Teller frisch geriebenen Kren, einige junge Zwiebeln, altbackenes Brot (zum Aufnehmen des Saftes) sowie drei Deziliter Wein. Er war ein großer Liebhaber des gekochten Rindfleisches und bestand darauf, dass sein Lieblingsgericht vom Fleisch des Kärntner Blondviehs gemacht wurde.
In einer behördlich für Berufsschulen genehmigten Servierkunde des Jahres 1912 steht zu lesen: „Nie fehlt an der Privattafel Sr. Majestät ein gutes Stück gesottenes Rindfleisches, das zu seinen Lieblingsgerichten zählt.“ Damals war Rindfleisch auf Grund von Rindern und Mastochsen aus Ungarn reichlich in Wien vorhanden. Das Fleisch der Ochse von Weiden der ungarischen Pusta besaß jene Zartheit, Saftigkeit und Würze, die das gesiedete Rindfleisch in Wien eben erst zu dieser begehrten Spezialität gemacht hat. Der Wiener Hof wurde von der Rinderhandelsfirma „Sborsky & Co“ beliefert, diese kaufte ganze Herden in Ungarn auf, die zu Fuß nach Wien getrieben wurden. Zwar magerten die Tiere auf dem tagelangen Marsch ab, dennoch galten die prächtigen ungarischen Ochsen als Mastfleisch.
Vom Kaiserlichen Hof ausgehend fand das eher schlichte Gericht über Dienstboten den Weg in bürgerliche Häuser. Die Wiener Bürger ahmten die Essgewohnheit des Kaisers nach- weil man sich auch beim Essen gerne nach dem Hof richtete- und der Tafelspitz wurde zur Norm großbürgerlichen Essens. Aber gekochtes Rindfleisch kam nicht nur als Spezialität in Wiener Haushalten zur Verwendung, sondern typischerweise auch in bürgerlichen Restaurants. Gekochtes Rindfleisch entwickelte sich zu einer Wiener Lebensphilosophie, die bis zum Zweiten Weltkrieg alle Krisen überstand. Während der Hochblüte der Wiener Küche im 19. Jahrhundert wurde gekochtes Rindfleisch wegen der vielfältigen Saucen zum Leibgericht aller Schichten, zumal es auf Grund der viele Serviermöglichkeiten viel Abwechslung bot. Auch die Rindsuppe, die eng mit der Geschichte des Tafelspitzes verbunden ist, schmeckte wegen der verschiedenen Einlagen täglich anders. Mancher Altwiener Koch rühmte sich, sie das ganze Jahr nie zu wiederholen. Der Zweite Weltkrieg brachte einen Einbruch der Rindfleischkultur, doch seit den 50er Jahren verschafften einzelne Gastronomen dem Wiener Klassiker wieder seinen verdienten Platz.
Die Bezeichnung „Tafelspitz“ findet sich erstmals bei HESS in seiner Kochrezeptesammlung im Jahr 1911.
Die Legende des Tafelspitzes:
Der Legende nach wurde der Tafelspitz im berühmten Hotel Sacher in Wien erfunden - und zwar nicht für Kaiser Franz Joseph I (1830 bis 1916), sondern für seine Hohen Militärs. Franz Joseph I. aß sehr rasch und bei jedem Gang nur wenige Bissen. Nach der strengen Hofetikette durfte aber niemand vor oder nachdem der Kaiser das Besteck weggelegt hatte, selber essen – zum Leidwesen jener hohen k.u.k. Militärs an der Hoftafel, die noch nicht einmal eine Speise serviert bekommen hatten. Sie mussten nachher ins Sacher essen gehen um ihren Hunger zu stillen. Die legendäre Anna Sacher ließ für die hungrigen Militärs ein Gericht vorbereiten, das stundenlang vor sich hinkochen konnte und dabei sogar noch besser wurde – der Tafelspitz.
Geschichte der Beilagen:
Die Beilagen zum „klassischen“ gekochten Rindfleisch in Wien wuchsen im Laufe der Jahrzehnte ständig an. In fast alle Kochbüchern des 18. und 19. Jahrhunderts finden sich Hinweise auf die richtige Garnierung und das Anrichten des Rindfleisches.
In „Elisabeth Stöckel’s österreichischem Universal-Kochbuch“ aus 1922 liest man: „rings um das Fleisch werden auf der einen Hälfte verschiedene kalte Gemüse, als: Essiggurken, rothe Rüben, Kartoffelsalat, Bohnensalat, grüner Salat etc., gelegt, die zweite Hälfte garniert man mit kleinen verschiedenfarbigen Gemüsehäufchen, z.B. Carotten, grüne Erbsen, Blaukraut, Petersilienkartöffelchen, Kohlrüben etc.“ Auch die „Wiener Küche“ von Olga und Adolf Fr. Hess aus 1928 empfiehlt zum „gekochten Rindfleisch“ an Beilagen: Gemüse, Soßen, Salate, Kartoffeln, Rote Rüben, Kraut und Knödel.
Die österreichische Geschirrindustrie hat für das gekochte Rindfleisch ein eigenes Geschirr entworfen: in der Mitte lieg das aufgeschnittenen Rindfleisch, rund herum sind die Garnierungen in kleinen, schalenartigen Vertiefungen.
Tafelspitz wird gewöhnlich mit den klassischen Beilagen Schnittlauchsauce, Semmel- und Apfelkren, Gemüse und gerösteten Erdäpfeln (Röstkartoffeln) serviert.
Gebiet/Region:
Österreich, insbesondere Wien
Tafelspitz:
Rohstoff: Als Tafelspitz wird ein Stück Rindfleisch vom Knöpfel (Schlögl) bezeichnet, das dem Musculus glutaeobiceps entspricht. Es wird von Ochsen verschiedener Rinderrassen gewonnen:
- Almenland Almochse
- Mittelkärntner Blondvieh
- Nationalpark Neusiedlersee Seewinkel Steppenrind
- Pinzgauer Rind
- Zickentaler Moorochse
Der Tafelspitz schließt an das so genannte „Tafelstück“ an und erhält seinen Namen vom charakteristischen Schnitt der Fleischteilung. Er ist leicht an seiner Form erkennbar, die an der oberen Rundung einen schmalen, schmackhaften Fettrand zeigt.
Zubereitung:
Grundsätzlich muss Rindfleisch gut „abgehangen“ sein, um das beste Resultat zu liefern. Wichtig, um gutes Rindfleisch herzustellen ist es, dass die deckenden Häute gar nicht und die Fettabdeckung darf nur zum Teil entfernt werden. Und so wird der Tafelspitz mit dem berühmten Fettranderl gekocht.
Methode der Zubereitung von Klassischer gekochter Tafelspitz (aus „Die 100 klassischen Gerichte Österreichs“):
Zutaten für 8 bis 12 Portionen:
1 Tafelspitz, circa 2 ½ bis 3 Kilogramm
300 Gramm Wurzelwerk (Sellerie, gelbe Rüben, Karotten, Petersilwurzel)
200 Gramm Zwiebeln mit Schale
½ Porree
15 Pfefferkörner
circa 4 ½ l Wasser
1 Kilo Rindsknochen
Salz
4 Esslöffel Schnittlauch, geschnitten
etwas Liebstöckel
Zubereitung:
Zwiebeln halbieren, in der Pfanne an der Schnittfläche sehr dunkel, fast schwarz braten. Wurzelwerk waschen, schälen. Knochen warm waschen, Wasser zum Kochen bringen. Tafelspitz, Knochen und Pfefferkörner ins Wasser geben. Schwach wallend kochen. Eine Stunde vor Garungsende Wurzelwerk, Porree, Liebstöckel und Zwiebeln beigeben. Schaum ständig abschöpfen. Fertig gegartes Fleisch aus der Suppe heben; Suppe würzen und durch ein feines Sieb oder Tuch seihen. Tafelspitz aufschneiden, mit Suppe begießen, salzen und mit geschnittenem Schnittlauch bestreuen.
Garzeit: circa 3 bis 4 Stunden.
Schlüsselworte
Lebensmittel und Speisen, Traditionelles Wissen, Österreich, Wien, Region, Tafelspitz, Wiener Tafelspitz, Rindfleisch
Bibliographie/Referenzen
- BERGER Franz Severin Panier statt Blattgold, Die Geschichte des Wiener Schnitzels und anderer Nationalgerichte
- HASLINGER I. Tafelspitz und Fledermaus. Die Wiener Rindfleischküche. Verlag Mandelbaum 2005
- KARRER A. Gekochtes Rindfleisch. In: A la Carte. Das Magazin für Ess- und Trinkkultur. So isst Wien. D+R Verlag, Wien, 1/2009. S. 38.
- MAIER-BRUCK F. Vom Essen auf dem Lande. Kremayr & Scheriau, Wien, 2003, S. 581-882.
- PLACHUTTA E., WAGNER C. Die gute Küche, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien, 1993. S. 66f, 276.
- PLACHUTTA E., WAGNER C Hgb Die 100 klassischen Gerichte Österreichs. Perlen-Reihe Kuratorium zur Erhaltung des kulinarischen Erbes Österreichs ISBN 3-552-06034-0. S. 162, 207ff.
- POHL H. D. Zur Bairisch-Österreichischen Küchensprache
- SIEVERS G.W. Genussland Österreich. Leopold Stocker Verlag, Graz, 2007, S. 276
- WAGNER C. Prato- Die gute alte Küche. Pichler Verlag, Wien, 2006. S. 217f.
- AMA Teilstücke vom Rind
- Österreichisches Lebensmittelbuch IV. Auflage Codexkapitel B 14 Fleisch und Fleischerzeugnisse
- Tafelspitz
- Tafelspitz englisch
Letzte Änderung aller Internetreferenzen erfolgte am 12.08.2024.
Sprachcode
Deutsch
Autoren
Mag. Eva Sommer, Dr. Erhard Höbaus